Sion/Sitten, Archives de l'Etat du Valais/Staatsarchiv Wallis, AV 112.6
Leisibach Joseph, Huot, François: Die liturgischen Handschriften des Kantons Wallis (ohne Kapitelarchiv Sitten), In: Iter Helveticum. Hrsg. v. Pascal Ladner. Spicilegii Friburgensis Subsidia 1984, S. 33-36.
Handschriftentitel: missale plenarium sedunense
Entstehungsort: Domstift Sitten
Entstehungszeit: 13. Jh.2
Beschreibstoff: aus feinem, gleichmäßig bearbeitetem Pergament guter Qualität. HFHF.
Umfang:
107 erhaltene Bl. (+ 1 Spiegelbl.) Gleichmäßiger Schnitt (roh).
Format: Format 355 x 240 mm.
Seitennummerierung: Verso links Mitte alte Foliierung von der Hand des gleichzeitigen Korrektors XVIII -CXXXVI; Durchgehende Bleistiftfoliierung 1-107 ohne Berücksichtigung der fehlenden Blätter.
Lagenstruktur: Der Codex bestand aus lauter Quaternionen: [2 IV verloren], IV-1 (7) , 3 IV (31) , IV-1.2.3 (36) , 4 IV (68) , [IV verloren, davon Reste von 4 Bl. erhalten] (72) , IV-2.3.4.5 (76) , IV (84) , IV-8 (91) , 2 IV (107) . Am Schluß der Lagen Reklamanten.
Zustand: vom ursprünglichen Codex fehlen die Bl. 1-17, 49-51, 89-96, 98-101, 120, 137 sqq.
Seiteneinrichtung:
Text in 2 Spalten zu 38 Zeilen oder 19 Text-Noten-Corpora. Liniierung a//bc//d mit feiner Tinte nach teilweise sichtbaren Zirkelstichen. Die 4 Vertikalen und je die beiden obersten (die oberste unbeschrieben) und untersten Horizontalen reichen von Rand zu Rand. Spiegel 250 x 165 mm; Spaltenbreite 70-75 mm.
Schrift und Hände:
Schöne got. Textur von einer Hand um oder nach der Mitte des 13. Jhs.
Die elegante und gepflegte Hand dieses Codex ist mir unter den Dokumenten des Sittener Domkapitels nicht begegnet. Jedoch fällt mir ein Korrektor auf, der am Rande vergessene Texte nachgetragen hat, z.B. f. 41v, 58v, 67v; diese Hand ist engstens mit den Sittener Kapitelsschreibern des 13. Jhs. verwandt und vielleicht mit Ms. 29 oder Ms. 44 identisch. Auch das Rot und Blau der Initialen und das feine Filigran passen sehr gut zu Ms. 29.
Musiknotationen: Die Gradualteile in kleinerer Schrift mit Quadratnotation auf 4 schwarzen Linien.
Buchschmuck:
- Textmajuskeln und Cadellen rot gestrichelt.
- Am Anfang der Formeln schöne rote und blaue Fleuroninitialen in gleicher Ausführung wie in Kapitelsarchiv Ms. 29.
Einband:
Der Einband ist fast gänzlich zerstört. Es ist nur noch der VD (360 x 235 mm) mit Resten von braunem Lederüberzug und Spuren von 2 Schließen erhalten. 7 Bünde und Reste vom Kapital. Die Lagen werden durch die Bünde noch zusammengehalten. Im VD Reste eines Spiegelblattes (Urkunde?) mit Federproben und Notizen, darunter 15. Jh.: Sedun. curatus vel vicarius sancti Germani Sedun. ad idem (?) Jo. Da die Rückseite des Blattes verklebt ist, kann ich nicht entscheiden, ob es sich um einen Besitzervermerk oder um eine Dorsualnotiz handelt.
Inhaltsangabe:
Der Codex ist stark fragmentarisch; es fehlen der Anfang des Temporale und das ganze Sanctorale, ferner einzelne herausgerissene Blätter. Die alte Foliierung hier in [ ] Klammer.
- 1.
f. 1ra-73vb
Proprium de Tempore pars prima
Anfang fehlt [I-XVII].- (1ra) [Dom. IV post Epiphaniam evang. sec. Math.]// I.i.t. Ascendente Iesu in naviculam …
- (73vb) >[Sabb. post Pentecosten] lect. Deuteronomii< I.i.t. Dixit dns. ad Moysen: audi Israel …–… et eduxit nos de Egypto in manu forti et brachio// (Deut. 26, 1-8). Nach f. 73 fehlen 4 Bl. [XCVIII-CI], auf denen sich der Schluß des Pfingstsamstags, der Sonntag Trinitatis und der Anfang des Kanons befanden.
- a). Nach f. 31 fehlen 3 Bl. [XLIX- LI].
- b). Nach f. 68 fehlen 8 Bl. [LXXXIX-XCVI] (= 1 Lage); von 4 Bl. dieser Lage ist noch ein kleiner Rest erhalten (= f. 69-72), mit vollständigem Textverlust. Zu bemerken: Über das Sittener Missale im allgemeinen cf. ITER HELV. III p. 26-66. In AV 112.6 ist die Trennung zwischen Temporale und Sanctorale vollständig ausgeführt. In den Wochen nach Epiphanie, Ostern und Pfingsten wird regelmäßig für die Feria IV ein Perikopen-Paar verzeichnet. Zusätzlich zu den nicht-notierten Missalien bringt das Plenarmissale verschiedene notierte Texte, die sich sonst nur in den Gradualien finden.
- (36va) >Dom. in Ramis palmarum< mit Palmweihe und Prozession;
- (37vb) >Laus regi nostro< Gloria laus et honor tibi sit … (RH 7282; AH 50 Nr. 117); AV 112.6 bietet die genau gleiche Ordnung wie Sitten, Kapitelsarchiv Ms. 17, cf. Huot p. 258-269; die Passionen der Karwoche sind mit den rubrizierten Passionsbuchstaben c, t, s versehen
- (49v) [In Cena dni.], nach der Messe: >Ad pedes lavandos< (cf. ITER HELV. III p. 30-31)
-
(53va)
[In Parasceve], nach den Großen Orationen:
- >Ad salutandam crucem< Popule meus …
- >Ad discoperiendam crucem< Ecce lignum crucis …
- >Ad adorandam crucem< Adoro te dne. I. Christe … (Lafrasse p. 143; Ephem. lit. 46, 1932, p. 37)
- >Ant.< Cum fabricator mundi …
- O admirabile precium …
- (54rb) >Ymnus< Crux fidelis inter omnes arbor una … (RH 4019; AH 50 Nr. 66); keine Eucharistiefeier; zu den Zeremonien des Karfreitags cf. Huot p. 278- 280;
-
(54va)
- >Sabbato sancto [vor den Lesungen] Benedictio ignis novi< Deus qui filium tuum angularem … (OR L,25,12)
- >Benedictio incensi< Dne. deus omnip. deus Abraham deus Ysaac … (cf. von Arx, Klosterrituale Biburg, Nr. 140; Franz, Benediktionen I p. 507-553)
- >Benedictio cerei< Exultet iam angelica turba …
-
(59vb-60rb)
[In die Pasche], vor der Messe Gesänge zur Prozession:
- >[Ant.]< In die resurrectionis …
- Vidi aquam …
- >Ad processionem [ant.]< Cum rex glorie …
- >Ant.< Sedit angelus ad sepulchrum …
- >Vs< Recordamini …
- >Vs< Crucifixum in carne … (cf. Huot Nr. 374 sq.; p. 298-302)
- in der Osterwoche ist das Vesper-Alleluia in der Messe als 2. Alleluia aufgeführt.
Fehlende Teile:
Hervorzuheben: - 2.
f. 74ra-75ra
Canon Missae
(unvollständig)
Anfang fehlt (cf. Ziff. 1). Zudem ist bei beiden Blättern 74 u. 75 [CII, CIII] die untere Hälfte weggerissen (mit Textverlust). - 3.
f. 75ra-95va
Proprium de Tempore pars altera
- (75ra) >Dominica prima post oct. Pent. [intr.]< Domine in tua misericordia …
- (95va) >[Dom. XXV] postcom.< Anime nostre ques. omnip. deus divino munere … Per. - Nach f. 91 fehlt ein Bl. [CXX] mit Texten zu Dom. 19-20.
- Daran (95va-96rb) >In Dedicatione ecclesie. [Intr.]< Terribilis …
Zu bemerken: Das Fest Corporis Christi fehlt noch. - 4. f. 96rb-107vb Commune Sanctorum (unvollständig)
Entstehung der Handschrift: Nach meinem Dafürhalten ist auch AV 112.6 ein Erzeugnis des Sittener Kapitels um die Mitte des 13. Jhs.
Provenienz der Handschrift: Nach Husmann, Sitten, p. 235, der den Eintrag auf dem Spiegelbl. als Besitzervermerk betrachtet, befand sich das Missale im Besitz der Pfarrkirche von St-Germain (Saviese) bei Sitten.
Bibliographie:
- Husmann, Kopenhagen, p. 35;
- Husmann, Sitten, p. 235;
- Stenzl 1 Nr. 37;
- Huot passim, bes. p. 262, 295;
- SMAH XIII p. 42, 106.