St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 715
Handschriftentitel: Compilatio prima cum glossis et glossa ordinaria
Entstehungsort: Frankreich
Entstehungszeit: ca. 1193–1200 (Glossen wohl vor 1215)
Frühere Signatur:
S. n. 99.
Beschreibstoff: Pergament
Umfang:
I-II+1-195 pp.
Format: 30,5 x 20 cm
Lagenstruktur:
- Buchblock (p. 1–193) 96 Blätter.
- Lagen: 11 IV177 + III189 + (I+1)193; p. 192B/193 ist ein papierenes Einzelblatt, das p. 192B kopfstehend bedruckt ist: Eligo in Abbatem Monasterij S. Galli F. F[ran]ciscum Uttiger [P. Franz Uttiger (1717–1771), Profess 20. Mai 1736]. Es folgt dasselbe Eligo […] S. Galli F. siebenmal, aber mit verschiedenen Namen, nämlich P. Franz Xaver Tschudi (Profess 20. Mai 1736), P. Anton Schueler (ebenso), P. Remaclus Holenstein (15. Juni 1738), P. Constantius Pyrpichler (ebenso), P. Konrad Weber (16. Oktober 1739), P. Burkhard Effinger (ebenso), P. Tutilo Brager (ebenso). Aufgrund der Profess- und Lebensdaten zwischen 1739 und 1745 († P. Anton Schueler) gedruckt. Lagenzählung und Lagenreklamanten am Lagenende unten Mitte bis rechts meist (noch) sichtbar: i’ (p. 16) – x’ (p. 161).
Zustand:
Pergament (ausser p. 192B/193), p. 39–44 Blattränder unten manchmal unregelmässig, p. 29/30, 61/62, 109/110, 160/161, 188/189
Risse mit weissem Faden schon vor der Beschreibung vernäht, p. 1–16 und p. 184–192 am Rand evt. durch Nagetiere und ca. p. 170–193 durch Mikroorganismen/Insekten beschädigt (deshalb p. 192A kleinere Textverluste), Ecken abgegriffen, gebräunt und teilweise verlustig (kleine Textverluste bei den Glossen
p. 1–2).
Seiteneinrichtung:
- Schriftraum: Vier-Spalten-Grundform, wovon 2. und 3. Spalte mit dem Textus inclusus (ähnlich Gerhard Powitz, Textus cum commento, in: Codices Manuscripti 5 (1979), S. 80–89., hier S. 82, Abb. 5). Bei Bedarf – besonders p. 76–159 – wurde die Vertikallinie zwischen 4. und 5. Spalte getilgt oder ignoriert, um kürzere oder grössere Einträge anzubringen, sodass sich diese angepasste Einrichtung bei dichter Glossierung dem Vier-Spalten-Typ in Klammerform annähert (vgl. Powitz, S. 82, Abb. 6; S. 84–85, S. 87).
- Textus inclusus: zweispaltig, 16–16,5 x 8,5 (3,5–4), 46 Zeilen, p. 190–192 45 Zeilen, begrenzt durch Metallstiftlinierung, für die Zeilen ebenfalls Metallstiftlinierung;
- Glossen und Glossenapparat: stark variierend, gelegentlich keine oder nur Einzelglossen, bei dichter Glossierung zweispaltig, bis (p. 1) 28,5 x 19, bis 92 Zeilen, begrenzt durch Metallstiftlinierung, für die Zeilen ebenfalls Metallstiftlinierung; Zirkellöcher am äusseren und inneren Blattrand.
Schrift und Hände: Textualis, aber noch wenige und nur schwach ausgeprägte Bogenverbindungen, um 1193–1200, von 3 Händen, in dunkelbrauner Tinte:
Buchschmuck: Ausstattung: Zu Beginn des Textes und der Capitula normalerweise Fleuronné-Initiale, abwechselnd rot und blau und in der Gegenfarbe ornamentiert, mit Halbpalmetten mit gebogten Rändern, Fadenwerk mit eingerollten Enden, (in Blattmotiven) Kernen, z.T. Gruppen von 3 oder mehr Perlen, Faden bisweilen mit Fischgrätenmuster, p. 1a zu Textbeginn der Buchstabenstamm mit Leisten konturiert und mit ornamentierten Besatzstücken, p. 1a und 16b Faden auslaufend in federgezeichnetes Gesicht eines Mannes mit Bart und p. 16b mit spitzer, am Ende gerollter Kappe, p. 76a, 138a Buchstabenkörper ausnahmsweise mit Schaftaussparung, bei den Libri und Tituli rote Überschriften, bei den Inscriptiones und z.T. innerhalb eines Kapitels abwechselnd rote und blaue Lombarden.
Spätere Ergänzungen:
Glossen, Korrekturen und Einträge von mindestens 7 Händen, hauptsächlich wohl vor 1215.
Einband:
Einband des 16.–18. Jh.
Halbleder und Lederecken auf Pappdeckel, diese überzogen mit Papiermakulatur von Missale-Druck (commune martyrum). Streicheisenlinien und Rollenstempel mit Rundbogenfries mit Blütenstauden, auf dem Hinterdeckel nur Letztere sichtbar. Nicht mehr verwendete Heftstellen einer früheren Bindung, einschliesslich des Kapitalbundes, der nicht erneuert wurde. Pergamentene Falzverstärkung in der Lagenmitte p. 191/192. P. 192B wurde wohl um Mitte des 18. Jh. zur Verstärkung auf p. 192A geklebt und im Jahr 2011 abgelöst. Vorderes Spiegelblatt (vor p. I) und Vorsatzblatt (p. I/II) sowie Nachsatzblatt (p. 194/195) und hinteres Spiegelblatt (nach p. 195) sind je ein später eingefügtes papierenes Doppelblatt des 18. Jh.
Inhaltsangabe:
- 1a–192a Compilatio prima
-
1a–192a passim
Verschiedene ältere Glossenschichten
-
(23b,
37b,
54a,
56b,
58b,
64b–159b)
Glossa ordinaria (1. Rezension)
- (23b) Zu 1 Comp. 1.21.5 ‘expirat’: §Ad id C. quando prouocare necesse non est [Cod. 7.64], cum non infra de of. le. [1 Comp. 1.22.1] …–… (159b) Zu 1 Comp. 5.5.5 ‘quoque’: et etiam ipsi Iudei excommunicandi sunt, non nam a sacramentis quibus ipsi non communicant, sed a communione communicatorum ut infra e.t. post miserabile l.iii (?). Lau.
- (192Aa) Erklärung zur Messe. Notandum uero est …–… De consecratione d. i. (?) necesse est [De cons. D. 1 c. 51?]. Kanonistische Notizen. Diuini muneris participatione …–… § uenerandus ibi. Weiterer Kurzeintrag, nur teilweise lesbar. Libri leg [um] (?) […] <in>fortiat [um] (?).
- (192Ab) Verzeichnis der abgekürzten Titel der Compilatio prima. >Isti sunt tituli.< Weiterer Eintrag. >Libri quinque decretalium< Weiterer Eintrag, nur Bruchstücke lesbar. Weiterer Eintrag. § de ulers h. et filius suus Klricus …–… Godfridus […] speculum.
- Ed. Emil Friedberg, Quinque Compilationes Antiquae, Leipzig 1882 (Nachdruck Graz 1956).
- Vgl. Stephan Kuttner, Repertorium der Kanonistik 1140–1234 (= Studi e testi, 71), Vatikanstadt 1937, S. 321–328;
- Gérard Fransen, Les diverses formes de la ‘Compilatio prima’, in: Scrinium Lovanensis. Mélanges historiques Etienne van Cauwenbergh (= Université de Louvain, Recueil de travaux d’histoire et de philologie, 4e série, 24), Louvain 1961, S. 235–253;
- Gérard Fransen, La tradition manuscrite de la Compilatio prima, in: Proceedings of the Second International Congress of Medieval Canon Law (= Monumenta Iuris Canonici, C 1), Vatikanstadt 1965, S. 55–62 (vgl. die Hss.-Gruppe Φ).
-
(23b,
37b,
54a,
56b,
58b,
64b–159b)
Glossa ordinaria (1. Rezension)
Entstehung der Handschrift:
Gemäss der Schrift nördlich der Alpen, in Frankreich geschrieben, wohin auch der Inhalt weist. Die braune Tinte und die Fleuroné-Initialen sind freilich gemäss Patricia Stirnemann, Paris, nicht typisch für Paris, wo die Compilatio prima an der Universität gelehrt wurde.
Erwerb der Handschrift:
Spätestens seit 1553–1564 in der Stiftsbibliothek, wegen Stempel
D.B. (p. 13b, 93b). Eintrag Pius Kolb
p. I: Libri V. Decretalium. Alte Signatur Pius Kolb
p. I: S.n. 99.
Bibliographie:
- Sven Stelling-Michaud, Catalogue des manuscrits juridiques (droit canon et droit romain) de la fin du XIIe siècle au XIVe siècle conservés en Suisse (= Travaux d’Humanisme et Renaissance, 11), Genève 1954, S. 35, Nr. 29;
- Alphons M. Stickler, Iter Helveticum, in: Traditio 14 (1958), S. 465–466;
- Philipp Lenz, Stefania Ortelli, Die Handschriften der Stiftsbibliothek St.Gallen, Bd. 3: Abt. VI: Codices 670–749 (in Vorbereitung).