Cologny, Fondation Martin Bodmer, Cod. Bodmer 61
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Wetzel René, Deutsche Handschriften des Mittelalters in der Bodmeriana, Cologny-Genève 1994, S. 64-67.

Manuscript title: Eike von Repgow: Sachsenspiegel
Place of origin: Niederlande
Date of origin: ca. 1400-1405
Support: Pergament
Extent: I + 108 Bll. + I
Format: 245 x 165 mm
Foliation: Moderne Bleistiftfoliierung 1-108.
Collation: 14 Lagen, in der Majorität Quaternionen: 1I + II (-1 + 1)4 + 7 IV60 + IV (-1)67 + 5 IV107 + 1108 + 1II. In der 1. Lage fehlt das 2. Bl. (= das 2. Registerbl. mit den Kapitelüberschriften 73-156). Nach Bl. 3 ist ein Einzelbl. an den Falz des Vorsatzbls. angeklebt (Gegenstück viell. ursprünglich ein leeres Bl. vor Bl. 1?). Der 9. Lage fehlt ohne Textverlust das 1. Bl. (nach Bl. 60), davon noch ein Streifen erhalten. Der letzten Lage folgt noch vor dem Nachsatzbl. ein Einzelbl., dessen Gegenstückreste unter den Spiegel des Hinterdeckels eingeklebt wurden. Spuren einer alten Lagenzählung (Kleinbuchstaben für die Lagen, röm. Ziffern für die Bll. innerhalb der Lagen), welche die 1. Lage (Register) nicht berücksichtigt. Teilweise Wortreklamanten sichtbar. Fast durchgehend Zirkeleinstiche an den Bl.rändern.
Condition: Unbeschrieben der ungezählte Vor- u. Nachsatz. Pergament u. Buchblock in hervorragendem Zustand. Wassereinwirkung gegen Ende des Bds. oben u. in der Falzmitte. Die ersten Bll. abgegriffen u. fleckig.
Page layout: Schriftraum: 16,5-8 x 10,5-9; zweispaltig, 28 Z. pro Sp. Sp.raum u. Linierung mit Tinte.
Writing and hands:
  • Der ganze Text durchgehend von einer Hand, sorgfältige got. Textura von größter Regelmäßigkeit.
  • Der Eintrag eines Volksliedfragmentes (108vb) durch eine Kursive des 15./16. Jhs.
Decoration:
  • Rubriziert.
  • Zwei spaltenbreite, 13 Z. hohe Miniaturen, Deckmalerei auf Goldgrund, weiß gehöht: 5ra Christus als Weltrichter; 68ra Kaiser auf Thron mit Richtschwert u. Löwe. Beide Miniaturen mit Architekturrahmen. Ebenfalls dort Randleisten: Weißornamentierte farbige Stäbe (gold-blau-rosa), farbige Dornblattranken (dito), kleine grotesk-figürliche Motive (Drachen, Affe), am Rand Blumen (gold mit weißen Blüten). Randleisten des selben Typs auch Bl. 1r.
  • Vier große, 5-7 Z. hohe Zierinitialen (1ra, 2va, 5ra, 68ra), Deckmalerei auf Goldgrund (blaue bzw. rosa Initiale mit weißer Füllornamentik u. farbigem Rankenbesatz oder Goldinitiale auf rosa und/ oder blauem Grund mit weißer Ornamentik).
  • Zahlreiche 2 Z. hohe Goldinitialen mit roter oder violetter Fleuronnée-Ornamentik umspielt.
  • Der Buchschmuck u. die Ikonographie der Miniaturen entsprechen den beiden anderen nl. Sachsenspiegel-Hss. (Ms. 75 G 47 der Koninklijke Bibliotheek, Den Haag, u. mgf 820 der SBPK, Berlin), alle im Umkreis der sogenannten „Meister des Dirc van Delf” im höfischen Stil (1395-1415) mit Bildschmuck ausgestattet, das Haager und Berliner Manuskript um 1405, unsere Hs. viell. etwas früher (1400-1405; der Architekturrahmen, der nur beim Bodmer Cod. festzustellen ist, charakterisiert die Miniaturen der sogenannten „Meister der Margarete von Kleve”, ca. 1395-1400, die mit den Meistern des Dirc van Delf in enger Beziehung stehen). Die 3 Hss. durch versch. Künstler der selben Werkstatt ausgestattet, möglicherweise jedoch von der selben Hand geschrieben. Vgl. Die goldene Zeit der holländischen Buchmalerei. Einführung James H. Marrow. Katalogbeiträge H. L. M. Defoer, A. S. Korteweg, W. C. M. Wüstefeld. Buchhandelsausg. zum Kat. der Ausstellung in Utrecht u. New York, 1989/90. Stuttgart u. Zürich 1990, S. 25-44, hier besonders S. 36f. (Nr. 6) u. Abb. Tafel 6. James H. Marrow grenzt neuerdings die „Meister des Saksenspiegels” der 3 erwähnten Hss. von den Meistern des Dirc van Delf ab (James H. Marrow hat uns auf großzügige Weise seine Beschreibung des Cod. Bodmer 61 für seinen noch nicht erschienenen Kat. der nl. ill. Hss. zur Verfügung gestellt); Dorine Proske-van Heerdt (The Dirc van Delft-Style: Structure and Chronology. In: Masters and Miniatures. Proceedings of the Congress on Medieval Manuscript Illumination in the Northern Netherlands [Utrecht, 10-13 December 1989]. Ed. by. K. van der Horst and J.-C. Klamt [Studies and Facsimiles of Netherlandish Illuminated Manuscripts 3]. Doornspijk 1991, S. 245-254, hier S. 250 [u. Abb. 5]) unterscheidet bei den Nachfolgern der Kleve-Meister zw. einem Saxenspiegel- u. einem Kleve-Stil.
Binding: Der Einband unter Verwendung des alten Leders erneuert. Dunkelbraunes Kalbsleder (die neueren Teile deutlich heller) auf leicht abgeschrägten Holzdeckeln. Je 5 Messingbuckel auf Vorder- u. Hinterdeckel. 2 Messingkrampenschließen mit (neuen) Lederriemen. Die untere Schließe fehlte bei der Beschreibung von Müller im Jahre 1917 (s. u.). 5 doppelte erhabene Bünde. Nicht mehr vorhanden ist das von Müller aufgeführte weiße Rückenschild mit der Nummer 34 von einer Hand des 18. Jhs. Die Spiegel aus Perg. u. unbeschrieben (Bibliothekseinträge der Bodmeriana auf dem hinteren Spiegel). Vor- u. Nachsatz im Format etwas kleiner als der Buchblock. Vorsatzbl. mit dem Besitzeintrag dit boeck hoert toe jan van doernick (15./16. Jh.).
Main language: Mundart: mnl.
Contents:
  • 1ra-108vb Eike von Repgow: Sachsenspiegel (niederländisch)
    • (1ra-4va) Register (rot) >Hier beghint die tafel vanden spieghel van zassen< Hier beghi[n]t dat proghe vanden spieghel van zassen …–… Van salt leen ccc xliij / Vanden selve[n] ccc xliiij
    • Wegen Bl.verlusts fehlen die Überschriften der Kap. 73-156.
    • (5ra-67vb) Reimvorrede, Prolog, Textus Prologi und Landrecht:
      God hadde die zassen wel bedacht
      sint dit boec in duutssche is ghebracht
      den luden al ghemeyne
      die sal twee sine boden senden voer dien rechte, daer hi sijn rechte verloren hevet, dat sie horen ofmens he[m] vertughen moghe ende sellen si dan ghetuuch sijn. / Hier beghint alle leenrecht cc vij.
    • (68ra-108vb) Lehnrecht Hier beghint alle leenrecht cc vij / So wie leenrecht con[n]e[n] wil die volghe desses boekes lere. Alre eerste sel wi merken dat die heerscilt anden connighe beghint108va Ende alle die weder gode ende weder recht streven die werden desen boeke gram want hem is leet dat recht ummer meer gheope[n] …–… 108vb baert werde want hare onrecht daer van scijnbaer wert, amen.
    Filiation: Unsere Hs. gehört zur Gruppe des nl. Sachsenspiegels in der älteren Textform (Sächsisches Land- u. Lehnrecht in 344 Kapiteln: 1-3 Vorreden; 4-206 Landrecht; 207-344 Lehnrecht), die in Homeyers Klasse I (Kurzformen), Ordnung Ia (erste dt. Fassung) einzuordnen ist. Auch textlich stellt sich unser Cod. zur Haager Hs. 75 G 47 u. zum Berliner mgf 820.
    • Hg. B. J. L. de Geer van Jutphaas, De Saksenspiegel in Nederland. 2 Bde. (Werken der Vereeniging tot uitgave der bronnen van het oude vaderlandsche recht I. Reeks, Nr. 10, St. 1 u. 2). s'Gravenhage 1888. [Auf der Grundlage der Haager Handschrift].
    • Vgl. Carl Gustav Homeyer, Die Genealogie der Handschriften des Sachsenspiegels. Aus den Abhandlungen d. kgl. Akad. d. Wiss. zu Berlin. Philol.-hist. Kl. Berlin 1859; Karl August Eckhardt, Rechtsbücherstudien III. Die Textentwicklung des Sachsenspiegels von 1220-1270 (Abhandlungen d. Ges. d. Wiss. zu Göttingen. Philol.-hist. Kl., 3. Folge, Nr. 6). Berlin 1933
    • Carl Gustav Homeyer, Die deutschen Rechtsbücher des Mittelalters und ihre Handschriften. 1. Abt. Verzeichnis der Rechtsbücher. Bearb. v. Karl August Eckhardt. Weimar 1934, hier S. 3-15, besonders S. 5
    • Ruth Schmidt-Wiegand, Artikel „Eike von Repgow”. In: 2VL 2, Sp. 400-409
    • Oppitz I-III.
  • 108vb Späterer Zusatz: Aus dem niederländischen Volkslied Ic sie die morghensterre breit (Strophen 1,1-5,1) Jck sye dy murgen stern bryt vyl op vryesken vyl [mit Korrektur] gemyen …–… myn vrou dye scelt myn sere dat ic my[n] verslapen haen. Dye der den vers doen hy buten der poerte Das Lied ist in nl. Liederbüchern des 16. Jhs. u. bis in die neuere Zeit hinein zu finden.
    Ausgaben (Auswahl):
    • Hoffmann von Fallersleben (Hg.), Niederländische Volkslieder (Horae Belgicae 2). [Breslau 1833], Hannover 21856, S. 104-107 (Nr. 36)
    • Ludwig Uhland (Hg.), Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder, mit Abhandlung und Anmerkungen. Bd. 1. Liedersammlung in fünf Büchern. 1. Abt. Stuttgart u. Tübingen 1844, S. 311-314
    • J. F. Willems (Hg.), Oude Vlaemsche Liederen ten Deele met de Melodïen. Gent 1848, S. 265-268 (Nr. 111)
    • Hoffmann von Fallersleben (Hg.), Antwerpener Liederbuch vom Jahre 1544. Nach dem einzigen noch vorhandenen Exemplare hg. (Horae Belgicae 11). Hannover 1855, S. 138-140 (Nr. 92).
Origin of the manuscript: Die Hs., die im von Herzog Albrecht von Bayern (1358-1404; Graf von Holland, Seeland u. Hennegau) u. seiner Gemahlin Margaretha von Kleve (gest. 1411) geförderten „höfischen Stil” (1395-1415) ausgestattet ist, wurde um 1400-1405 wohl für adlige Kreise des nl. Hofes geschrieben u. ausgeschmückt. Die Werkstatt kann nicht lokalisiert werden, doch steht heute Utrecht im Vordergrund.
Provenance of the manuscript: Der Cod. ist zum ersten Mal im Besitz der aus den Niederlanden stammenden Freiherren von Doornick faßbar, vgl. den Besitzeintrag des Jan van Doornick, der Ende des 15. u. zu Beginn des 16. Jhs. im Schloß 't Loo bei Apeldoorn lebte. Die Hs. wurde dann aus den Niederlanden in das Haus Wohnung, Möllen im Kreis Dinslaken, mitgebracht, wo die Familie wahrsch. seit dem Beginn des 17. Jhs. (bezeugt 1647) ansässig war. 1765 vermählte sich Elisabeth (gest. 1782), Erbtochter von Caspar Freiherr von Doornick mit Hermann Adolf von Nagel zu Vornholz (1732-1782). Der Bd. blieb nach dem Aussterben der Freiherren von Doornick im Besitz der Freiherren von Nagel-Doornick auf Vornholz über Oelde (Westfalen). Er trug dort die Signatur 34, ist noch in den 30er Jahren des 20. Jhs. ebd. bezeugt u. blieb in der Familie auch mind. bis 1950 (Josef Freiherr von Nagel-Doornick, geb. 1911, Haus Welschenbeck bei Belecke, Westfalen).
Acquisition of the manuscript: Martin Bodmer erwarb die Hs. im Februar 1951.
Bibliography:
  • Emil Steffenhagen, Eine Sachsenspiegel-Handschrift. In: ZfdPh 26 (1894), S. 107f.
  • Paul Clemen, Die Kunstdenkmäler der Stadt Duisburg und der Kreise Mülheim a. d. Ruhr und Ruhrort (Kunstdenkmäler der Rheinprovinz II, 2). Düsseldorf 1893, S. 57
  • Ernst Müller, Eine niederländische Sachsenspiegelhandschrift. In: ZRG GA 38 (1917), S. 305-309
  • Carl Gustav Homeyer, Die deutschen Rechtsbücher des Mittelalters und ihre Handschriften. 2. Abt. Verzeichnis der Handschriften. Neu bearb. v. Conrad Borching u. Julius von Gierke. Weimar 1931, S. 196, Nr. 877
  • Ulrich-Dieter Oppitz, Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters, II, Köln/Wien 1990, Nr. 347, S. 440
  • James H. Marrow, Descriptive and Analytical Catalogue of Dutch Illustrated Manuscripts of the 15th and 16th Centuries (Studies and Facsimiles of Netherlandish Illuminated Manuscripts 2). 2 Bde. Doornspijk, Druck in Vorbereitung (voraussichtlich für 1994).