Cologny, Fondation Martin Bodmer, Cod. Bodmer 73
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Wetzel René, Deutsche Handschriften des Mittelalters in der Bodmeriana, Cologny-Genève 1994, S. 130-133.

Titolo del codice: Gesta Romanorum deutsch
Luogo di origine: Bayern
Datazione: 1461
Supporto materiale: Papier. Wz.:
2 ital. Papiersorten:
  • 1. Lagen 1-8 (ohne das innerste Doppelbl. der 8. Lage) Dreiberg (höchstwahrsch.) mit Kreuz, der Gruppe BR 11678-11728 angehörig (am ähnlichsten BR. 11702 u. 11709, beide Pisa, 1440 u. 1466).
  • 2. Doppelbl. 88 /89 der 8. Lage u. Lagen 9-13 Leiter, ähnl. BR. 5904 (Venedig, Regensburg, Florenz, Neapel, 1451-1459) u. 5908 (Rom, Neapel, Florenz, 1457-1468), des Formates wegen eher ersteres.
Dimensioni: 154 Bll.
Formato: 28,5 x 21,0
Numerazione delle pagine: Durchgehend moderne Bleistiftfoliierung 1-154 (genauer 1'-7' u. 8-154). Alte rote Bl.zählung 1-143 für den Textteil (8-150), Sprung von 30 auf 32, dafür 2 mal Bl. 42. Eine mit dieser Zählung übereinstimmende alte Tintenfoliierung am oberen Bl.rand ist beschnitten u. nur selten sichtbar. Leer sind das als Vorsatzbl. dienende Bl. 1 sowie die Bll. 7 u. 151-154.
Composizione dei fascicoli: 13 Lagen, in der Regel Sexternionen: 6 VI72 + V82 + 6 VI154. Alte Lagennr. 8 (beschnitten) zu Beginn der 8. Lage (Bl. 83), weitere Spuren der alten Lagenzählung Bl. 61 u. 107.
Condizione: Bandrücken gebrochen u. defekt. Die unteren Ränder des Einbandes vielfach berieben u. bestoßen. Der Buchblock im allg. gut erhalten. Die Bll. an den Rändern teilweise fleckig. Wenige Gebrauchsspuren.
Disposizione della pagina: Schriftraum ca. 19,7 x 13,8, zweispaltig, 29-36 Z. pro Sp. Sp.rahmen mit Tinte gezogen.
Tipo di scrittura e mani: Dt. Bastarda durchgehend von einer Hand, mit Hang zur Kursivität. 1461. Von Schreiberhand auch die roten Überschriften u. das Register.
Decorazione:
  • Rubriziert.
  • Rote, gewöhnlich 2 Z. hohe, einfache Initialen, bisweilen mit verschleiften Abläufen. Eine 5 Z. hohe Initiale 8ra. Oft vergrößerte oder in ihren Oberlängen hinaufgezogene Majuskeln in den Kopfzeilen.
Legatura: In Regensburg gebunden (vgl. Spiegel)? Holzdeckel mit rotem Schafslederbezug der Zeit. Je 5 Messingbuckel mit Blütenkranz als Rand auf Vorder - u. Hinterdeckel, durch je 2 parallel geführte Streicheisenlinien verbunden (auf dem Vorderdeckel doppelte u. dreifache Streicheisenlinien). Zusätzlich 3 versch. Stempel (florale Motive) für den Vorderdeckel verwendet. Messingschließen an Lederriemen, die obere Schließe abgerissen. Die vorhandene Schließe u. die beiden Messingteile des Vorderdeckels mit Prägung (1. Buchstabe der 3. Zeile unleserlich) ru/ pu / .ma (?). Ein vormals auf dem Vorderdeckel aufgeklebtes Titel- und/oder Signaturenschild fehlt. 4 doppelte erhabene Bünde.
Materiale addizionale: Die beiden Spiegel abgelöst. Sie bildeten zusammen mit einem weiteren, aus dem hinteren Innendeckel herausgelösten Bruchstück die Langersehen Mss. 484-486 u. sind heute verschollen. Stellenweise Textabklatsch auf den Innendeckeln noch sichtbar (besonders mit UV). Dank der Beschreibungen Walter Dolchs für die Preußische Akad. der Wiss. von 1909 (s. u., Lit. zur Hs.) kennen wir jedoch Inhalt u. Beschaffenheit der 3 Texte:
  • Langer Ms. 484: Gerichtsbrief (1456)
    Abgelöst vom Vorderdeckel. Papier ohne Wz. 28,0 x 20,5. Schriftraum (oben beschnitten) 22,0 x 18,0. 27 Z. Got. Kursive.
    () an ⟨der⟩ mawtt zu Wyenn̄ und auch̄ an and⟨er⟩n mawttstat⟨e⟩n ein überigs vas weins v⟨er⟩mawtt und zugesagt. besigeltt mir und meinen̄ erb⟨e⟩n on schad⟨e⟩n. Act⟨um⟩ freitag nach̄ dem ostertag Anno lvj° [= 2.4. 1456].
    Gerichtsbrief für Stephan Fluderer, angeklagt, ein "überzähliges" Faß Wein in Wien u. anderen Mautstätten nicht versteuert zu haben. Er löst sich mit dem Eid, das Faß sei für Regensburger bestimmt gewesen.
  • Langer Ms. 485: Brieffragment (an Kunigund Ortliebin in Regensburg?) Abgelöst vom Hinterdeckel. Papierstreifen, links u. rechts abgerissen. 8,0 (Originalhöhe?) x 9,5-11,0. 4 Z. Got. Kursive. 2 H. 15. Jh. (laut Dolch ± 1470). () mein / ()ter Cüngu⟨n⟩t Ortliebin d / () ligs creücz jn Rege⟨n⟩spurg / () er geschri[(?]) quit ledig v / () ater hern Michaheln ()
    Dazu, auf dem Kopf stehend: Mē / mētē
  • Langer Ms. 486: Gerichtsprotokoll (1460)
    Abgelöst vom Hinterdeckel. Papier. Rechte Hälfte eines Doppelbls. (oben beschnitten?). 28,5 x 20,5. Schriftraum 11,5 x 17,0. 16 + 3 Z. Got. Kursive. () vnnser⟨e⟩n her⟨e⟩n vom Rat verfolgt, die auch vor uns verles⟨e⟩n und dar jnn lawter begriffen ist: die Schafhawserjnn̄ sull dem jud⟨e⟩n ir⟨e⟩n drittail ausricht⟨e⟩n – beruefft sich der fur unser her⟨e⟩n vom Rat zu pesser⟨e⟩n recht⟨e⟩n. Dat⟨um⟩ freitag nach martinj Anno lx° ˜ (= 14. 11. 1460). Darunter 3 unvollständige Zeilen: () em vongerichts weg⟨en⟩ zu jm / () n̄ und hab jn den brief / () recht⟨e⟩n haissen leih ⟨e⟩n̄
Das Protokoll betrifft eine Schuldklage des Seidia Jud gegen die Schaffhauserin, die zuvor verurteilt worden war, einen Drittel ihrer Schuld zu zahlen u. damit quitt zu sein. Der Jude nahm das Geld nicht, die Frau zahlte es an Gerichtsstatt rechtzeitig ein, u. der Richter wies die Klage des Juden ab, der sofort Berufung an den Rat einlegte. Beim Binden wurden für die erste u. letzte Lage breite Perg.streifen zur Verstärkung verwendet u. unter den Spiegeln auf die Innendeckel geleimt (heute wieder abgelöst). Sie sind mit einer got. Textura (Rotunda?) viell. noch des 14. Jhs. beschrieben u. enthalten Bruchstücke von Donats "Ars minor" (größere Teile der Konjugationen der Verben legere u. docere).
Lingua principale: Mundart: bair. wobei aus dialektalen u. paläographischen Gründen der Westen oder Nordwesten im Vordergrund stehen.
Contenuto:
Unsere Hs. ist bislang weitgehend unbekannt geblieben (Nota: Jetzt erwähnt bei Weiske II (5. u.), S. 129.). Keine Kap.-zählung. Für die Auslegungen meist rote Überschrift Geistlichen, seltener geistlich zu versten oder der geistlich sin. Die Überschriften der Kap. entsprechen im wesentlichen jenen des Inhaltsverzeichnisses. 108 Kap. (das Register weist nur deren 107 auf, da es das überschriftlose Kap. 32, "Vier Narren", ausläßt), die sich eindeutig dem bair. "Vulgattext" (Hammers [so u.], S. 129) der Redaktion 11 bzw. von deren Untergruppe a) (vertreten durch die 5 Hss. M1, B1, H1, M8 u. bedingt W2 [nur 1 Kap. überliefert]) zuordnen lassen: Kap. bestand u. -abfolge wie Redaktion IIa)-c), allerdings fehlen die Kap. 20 ("Kohle"; auch bei M8), 21 ("Theriak"; auch bei M8) u. 111 ("Placidus"). Ebenso die für diese Redaktion typische Dreiteilung mit den eingeschobenen 11 Geschichten der "Sieben weisen Meister" u. die geistlichen Auslegungen nach den Kapiteln. Hier folgt unsere Hs. der Redaktion IIa), die keine Auslegung nach Kap. 27, 31, 32, 74-76 u. 92 besitzt, unser Cod. zusätzlich auch nicht für die Kap. 25 (auch B1 u. M8) u. 71. Die Auslegung von Kap. 69 – auch dies ein Merkmal von IIa) u. z. T. IIb) – erst nach Kap. 70, doch noch vor der Auslegung zu Kap. 70; Auslegung von Kap. 97 nach jeder Einzelepisode. Der Cod. Bodmer 73 besitzt auch – das eigentliche Kennzeichen von IIa) – nach den Auslegungen der Kap. 1-18 zusätzlich weitere gereimte Auslegungen (mit kleineren Abweichungen: Kap. 5 fehlt V. 16, Kap. 6 die Verse 11-12, Kap. 12 mit verstümmelten Schlußversen, Kap. 13 fehlt V. 20). Auch im Wortlaut stellt er sich eindeutig zu IIa) (in den Textproben von Hammers, S. 98ff. bzw. Anhang, S. I-LII). Übersicht zur Überlieferung, mit Einbezug neuer Hss. im Artikel von Udo Gerdes in 2VL 3, Sp. 29-34. Gerdes zieht die Hss.-Gruppen IIa)-c) zu einer einzigen Redaktion a) zusammen (auch bei Hommers auf einen gemeinsamen Archetyp zurückgeführt). Gesamte Gesta Romanorum-Überlieferung jetzt neu gesichtet u. untersucht bei Weiske (s. u.). Unsere Hs. ihrer Gruppe w zugeordnet (bzw. in die dt. Fassung Gerdes a).
Interessant ist die falsche Überschrift Von Neomon (...) zu Kap. 3 ("Turnier"), die einer Geschichte entspricht, die wir in keiner weiteren dt. Gesta-Hs. gefunden haben, nämlich Oesterleys lat. Kap. 212, app. 16 ("Naaman, aussätzig"). In lat. Hss. der Gruppe I u. Familie (Krepinski [s. u.]) folgt nach "Vater heilen, Mutter nicht" (unser Kap. 2, Oesterley 112) ein kleines Kap. über den aussätzigen Naaman, in der Gruppe 11 (Krepinksi) ist nur noch die Moralisatio oder gar – wie bei unserer Hs.! – nur die Überschrift über das Kap. "Turnier" (Oesterley 113) gesetzt!
  • 2ra-150va Gesta Romanorum deutsch
    • (2ra-6vb) Register Von ainem ritter und seiner hawsfraw[e]n. Der selb ritter fur wallen jn das ellendt. …–… Von aines kunigs tochter und funf ritter[e]n und von ainem hunt ain Capitel.
    • (8ra-150va) Text >Hie bebet sich an das puchjesster Romanoru[m].< Worotheus, ein romischer gepieter, saczt ein recht auf, das die kinder jr vater und ir muter nerten und in czu gestunden in noten …–… So chomen wir dann[e] czu dem ewigen himelreich, dagibt er uns sein tachter czu der ee, das ist, wenn[e] wir besicz[e]n die ewig[e]n frewd, paide mit leib und sei, das verleich uns got allen, amen, >amen.<
  • 150vb 1461
Origine del manoscritto: Geschrieben 1461 (vgl. 150vb) in Mittel- oder Nordbayern. Alle konkreten Spuren der älteren Besitzgeschichte sind getilgt. Nur neuere Signaturen u. Vermerke: Ir A.23 (wahrsch. Stand in der Langersehen Bibliothek); Ms 125 (Langersche Signatur); 80/28 (Kraus). Wahrsch. war es auch eine alte Signatur, die aus Bl. 1 herausgeschnitten wurde. Im inneren Hinterdeckel ein Stempel mit Doppeladler u. Umschrift Denkmalschutz (Rest verwischt).
Provenienza del manoscritto:
  • Die Hs. befand sich in der Sammlung von Joseph Görres (1776-1848), die 1902 in München von seinen Nachkommen aufgelöst wurde. Verkäufer war J. Görres' Urenkel, der K. Geh. Archivrat Georg Maria von Jochner (1860-1923), Sohn des Arztes Guido Jochner u. dessen Gemahlin Katharina, einer Tochter von Guido Görres, des einzigen Sohnes von Joseph Görres.
  • Der Cod. wurde in der Folge von Eduard Langer, Braunau (1852-1914) erworben u. blieb in dessen Bibliothek wohl bis in die 50er Jahre unseres Jhs. (Ms. 125).
  • Der Großteil der Görreshss. stammte aus St. Maximin in Trier u. Himmerod in der Eifel. Im Gegensatz zu den Trierer Hss. gelangten die aus Himmerod nach der Säkularisation 1802 nicht direkt, sondern über einen Zwischenbesitzer zu Görres, nachdem sie bereits 1794 ins Rechtsrheinische, wahrsch. nach Heisterbach ausgelagert worden waren (auch nach der Rückkehr der Mönche in ihre Abtei 1795 blieben die Hss. auf der rechten Rheinseite). Dieser Zwischenbesitzer war bemüht, aus den Hss. alle offensichtlichen Merkmale ihrer Herkunft zu verwischen. So finden sich nicht nur bei Görres' Himmeroder Bden. Ausschnitte u. Radierungen der Eigentumsvermerke u. alten Signaturen, wie sie auch bei unserem Cod. zu beobachten sind, der somit gut aus diesem Kloster stammen könnte. Bliebe allerdings noch zu klären, wann u. unter welchen Umständen diese bair. Hs. in die Eifel gelangte. Görres wird den Cod. bereits 1819 mit sich von Koblenz nach München gebracht haben, denn er erscheint nicht im hsl. Verzeichnis von 1844 für die in Koblenz verbliebenen Bestände (vgl. Jacobs [s. u.], S. 202).
Acquisizione del manoscritto: Viell. über den Umweg des Antiquariats Heinrich Hinterberger, Wien (vgl. Cod. Bodmer 59!), gelangte er in das Antiquariat H. P. Kraus nach New York u. wurde im Oktober 1956 von Martin Bodmer erworben.
Edition und Literatur Gesta Romanorum
  • Hg. Adelbert Keller, Gesta Romanorum, das ist Der Roemer Tat (Bibliothek der gesammten deutschen National-Literatur 23). Quedlinburg u. Leipzig 1841. [Diplomat. Abdruck des Cgm 54, M 1 der Überlieferung, der ältesten dt. Gesta-Hs. u. Vertreter der Hss.-Gruppe IIa)];
  • Hermann Oesterley (Hg.), Gesta Romanorum. Berlin 1872. Repr. Hildesheim, New York 1963 u. 1980. [Lat. Ausg.]. Vgl. M. Krepinski, Quelques remarques relatives al'histoire des Gesta Romanorum. In: Le Moyen Age, 2e serie, 15 (1911), S. 307-318 u. 346-367;
  • Peter Hammers, Gesta Romanorum deutsch. Untersuchungen zur Überlieferung und Redaktionsgliederung. Diss. (München 1965). Markdorf 1968;
  • Uda Gerdes, Artikel "Gesta Rornanorum". In: 2VL 3, Sp. 25-34;
  • Walter Röll, Zur Überlieferungsgeschichte der "Gesta Romanorum". In: Mittellateinisches Jahrbuch 21 (1986), S. 208-229;
  • Brigitte Weiske, Gesta Romanorum. 2 Bde. I. Untersuchungen zu Konzeption und Überlieferung. II. Texte, Verzeichnisse (Fortuna Vitrea 3-4). Tübingen 1992 (mit Teilausg.); hier besonders I, S.107-126.
Lit. zur Hs.:
  • [K. Hauck], Catalogus librorum manu scriptorum e Bibliotheca G[oerres]iana. München 1902, Nr. 29;
  • Hsl. Beschreibung von Ms. 125 der Langersehen Sammlung für die Preußische Akad. der Wiss. (+ Ms. 484, 485, 486, d. h. der abgelösten Spiegel) durch Walter Dolch, November 1909 (Datum nur für Mss. 484-486) 2 (+ 3) Bll. Handschriftenarchiv der Preußischen Akad. d. Wiss., Arbeitsstelle der DTM, Berlin;
  • H. P. Kraus, The eightieth Catalogue. Remarkable Manuscripts, Books and Maps from the IXth to the XVIIth Century. New York [1956], Nr. 28, S. 24f. (mit einer Abb. des Einbandes);
  • Datierte Hss. 11, Nr. 110, S. 46 u. Abb. 418;
  • Weiske 11 (s. u.), S. 129.
Zur Provenienz:
  • Emil Jacobs, Die Handschriftensammlung Joseph Görres'. Ihre Entstehung und ihr Verbleib. In: Zentralblatt für Bibliothekswesen 23 (1906), S. 189-204;
  • Fritz Schillmann, Verzeichnis der lateinischen Handschriften der Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin. Bd. III. Die Görreshandschriften. Berlin 1919;
  • Ambrosius Schneider, Die Cistercienserabtei Himmerod von der Renaissance bis zur Auflösung, 1511-1802. Köln 1976.