Solothurn, Domschatz der St.-Ursen-Kathedrale, Cod. U 2
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Schönherr Alfons, Die mittelalterlichen Handschriften der Zentralbibliothek Solothurn, Solothurn, 1964, S. 223-224.

Handschriftentitel: Evangeliarium [Lectiones evangeliorum ad dominicas et praecipuas festivitates de circulo anni.]
Entstehungszeit: 12. Jahrh. (um Mitte).
Beschreibstoff: Kalbpergament. (+ VII Bl. Pap.)
Umfang: 109 Bl. (+ VII Bl. Pap.) + II.
Format: 27 x 18,5 cm.
Lagenstruktur: Nicht signierte Lagen (zumeist Quaternien).
Seiteneinrichtung: Schriftrahmen und (19) Zeilen blind vorgezogen; Zirkelstiche. Rote Tintenfoliierung saec. XVI am Oberrand. Unbeschrieben: (94r-96v) (101) und (102r-106v) . Rote Überschriften (Tagesbezeichnungen).
Schrift und Hände: Sehr gleichmäßige, verhältnismäßig kürzungsreiche spätkarolingische Minuskel («schrägovaler Stil») des oberrheinischen Typs von einer Hand.
Buchschmuck: Für jede Perikope kleine schlichte I-Initiale (In illo tempore) in Gold auf grünem Grund, daneben für den Textbeginn große Goldinitiale auf farbigem, zumeist mit buntem Rankendekor gemustertem Grund, z. T. auch mit figuralen und zoomorphen Motiven in der Eigenart des oberrheinischen Stils. Sämtliche Perikopen mit dem feierlichen Lektionston durchneumiert; Matthäus- und Johannespassion mit den Passionsbuchstaben (a, c und t).
Spätere Ergänzungen: 94r-109r Nachträge aus dem 16. und 17. Jahrhundert:
  • a) (94r) Markusinitium (= Marc. I, 2-8);
  • b) (96r) von Hand des Solothurner Stiftskustos Urs Häni: Markusinitium (wie vorher, unvollendet);
  • c) (97r-100v) von anonymer Solothurner Hand, datiert 1623: Initia IV evangeliorum für die Fronleichnamsprozession;
  • d) (107r-109r) von anonymer Solothurner Hand saec. XVI (Kustos Johannes Franz?): Index Evangeliorum nach dem Kirchenjahr geordnet.
Einband:
  • Über stark nach innen abgeschrägten Buchenholzdeckeln Silbereinband (30/20,5 cm) saec. XVI, der von D. F. Rittmeyer (St. Gallen) wie folgt beschrieben wird:
  • «Silber teilvergoldet, Buch und Deckel seit 1549 zusammengehörig. Es fehlen die Schließen und mit ihnen die Zeichen. Die Buchdeckel sind ganzseitig von Silber bedeckt und gegen innen mit je drei gravierten Silberstreifen sorgfältig geschützt. Vorderseite: Kreuzigung in kräftigem Relief getrieben, von einem profilierten Rahmen umgeben. Die Jahrzahl (1549) steht über dem Kreuz. Nicht ganz in den Ecken vier Scheiben mit den geflügelten Evangelistensymbolen, oben und unten je ein ovaler Kristall in Cabochonschliff mit Grat. Links und rechts je ein langovales Relief: Jesus und Johannes d. T. als Knäblein mit einem Lamm spielend, und Maria mit dem Kind; dazu vier spätgotische, knorrige Gußornamente, alles auf graviertem Rankenornament. Rückseite: ebenfalls Ranken im Übergang von der Gotik zur Renaissance. Die ganze Deckelfläche graviert mit Darstellung der Verklärung Jesu. Die Wiedergabe ist gesamthaft noch spätgotisch empfunden, wenn auch möglicherweise dem Goldschmied, der den Stichel führte, Raphaels Komposition bekannt war.»
  • Zwei spätgotische Silberschließen (verloren), die Ansätze und die silbervergoldeten Haften erhalten. Rücken dreibündig, mit rotem Seidensamt überzogen; farbig umstochenes Kapital.
Inhaltsangabe:
  • Textgeschichte: Die Perikopenfolge gehört in die Deszendenz des Comes von Murbach; sie beginnt deshalb mit der Weihnachtsvigil, während die Adventsonntage (1. bis 4. Sonntag de adventu Domini) am Schluß nach der Dominica XXV post Pentecosten gereiht sind. An Festtagen im alten St. Ursenmünster auch als Instrumentum pacis verwendet, vgl. C. Lang, Grundriß der […] christlich-katholischen Helvetia I (1692) 989 Nr. 33: «Ein alt Evangelibuch mit einem silbernen Deckel, so man an Festtägen zum ,Pacem' gebraucht.» Kurz erwähnt bei L.R. Schmidlin, Die Solothurner Schriftsteller von den ältesten Zeiten bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. I. Teil: Zeitschrift für Schweitzerische Kirchengeschichte (ZSKG) 2 (1908), 166. - Codex argenteus.
    • 1. (Bl. 1r-71v) Proprium de Tempore: >In vigilia nativitatis domini. Secundum matheum [I, 18-21].< C[um esset] desponsata ~ Dominica IIII [de adventu domini] …–… ubi erat iohannes baptizans.
    • 2. (72r-84v) Proprium de Sanctis: >De s. Marco. Secundum marcum [10,25-30].< Facilius est ~ In natale s.Andree. Secundum matheum [4, 18-22] …–… secuti sunt eum.
    • 3. (84v-92v) Commune de Sanctis: In vigilia apostolorum …–… De virginibus. Daran:
      • a) 92v-93v >In dedicatione< ;
      • b) 93v-94r >Pro defunctis< .
Provenienz der Handschrift:
  • Im Rückspiegel Verschnitt mit unterem Teilstück aus lateinischem Notariatsinstrument der Zeit um 1530 (Datierung abgeschnitten), betreffend einen Benefizienstreit des Solothurner Leutpriesters Simon Mägli (siehe Wackernagel, Matrikel I, 281 Nr.10); gefertigt vom Notar Bartholomaeus Held (clericus Constantiensis diocesis) in der Johanniterkomturei Hohenrain in Gegenwart des Komturs Magister Hieronymus Merk (siehe Wackernagel, a. a. O. 322 Nr. 12) sowie der Zeugen Otmar Renftler, Pfarrer zu Hochdorf und Johannes Has, Vogt zu Rotenburg.
  • Die vorliegende Hs. ist erwähnt im Inventarium Custodiae S. Ursi von 1646 (Staatsarchiv Solothurn, St. Ursenstift), Seite 4-8 : «Ein altes Evangelij Buoch, dessen Deckhel von Silber.» Solothurnische Altertümerkommission, Inv.-Nr. 64.