Cologny, Fondation Martin Bodmer, Cod. Bodmer 150
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Wetzel René, Deutsche Handschriften des Mittelalters in der Bodmeriana, Cologny-Genève 1994, S. 170-173.

Handschriftentitel: Schwabenspiegel
Entstehungsort: Südwestdeutschland
Entstehungszeit: Ende 13./Anfang 14. Jh.
Beschreibstoff: Pergament.
Wz. der Vor- u. Nachsatzbll.: Schild, darin Buchstabe G u. Kreuz, darüber ein Stab, von einer bekrönten, züngelnden, nach rechts blickenden Schlange umwunden u. durch ein aufgesetztes r abgeschlossen. Ähnl. BR. 8232 (Tübingen 1542, Var. Tübingen (?) 1553, Rottweil 1571, Ribeaupierre [= Rappoltstein, Elsaß] 1589; die Gruppe 8227-8232 aus Württemberg, das r deutet viell. auf Reutlingen), jedoch nicht mit spiegelverkehrtem r.
Umfang: III + 88 + III BI.
Format: 23,4 x 16,5
Seitennummerierung: Alte Tintenfoliierung (ca. 15./16. Jh.) xl-cxxviij. Bl. lxj doppelt gezählt. Sprung von lxviij auf lxxj mit Textverlust. Es fehlen also die Bll. j-xxxjx - vermutlich das "Buch der Könige" - u. lxjx-lxx = Kap. 152, Schluß, bis Kap. 163, Anfang. Die Bl.reste finden sich zw. lxxiiij u. lxxv. Die Bll. lxxv u. cxviij sind als Einzelbll. eingeschoben (Bl.reste zw. lxxjx/lxxx u. zw. cxiij/cxiiij, ohne Textverlust). Unbeschrieben die je 3 Vor- u. Nachsatzbll. aus Papier (Spuren von Radierungen Ir, mit Titel u. Zahlen 1 (?)34 einer Hand dieses Jhs.) sowie cxviijv.
Lagenstruktur: 25 Lagen, in der Regel Binionen: II(-1)III + 7 IIlxvj + II(-2)lxviij + IIlxxiiij + II(+ 1)lxxjx + 6 IIciij + Icv + 2 IIcxiij + II(+ 1)cxviij + 2 IIcxxvj + Icxxviij + II(-1)VI. Das letzte Bl. des Vorsatzes bzw. erste Bl. des Nachsatzes bilden mit den jeweiligen Spiegeln je ein Doppelbl. Die Textlagen mit alter Lagenzählung zu Beginn jeder Lage (j-xvij für 16 Lagen Landrecht, wobei kein Kustos für die 3. Perg.lage sichtbar, u. Sprung in der Zählung von xj auf xiij; j-vj für 6 Lagen Lehenrecht).
Zustand: Der Einband mit wenigen Flecken. Buchblock in hervorragendem Zustand, nur die letzten beiden Perg.-bll. stärker gebräunt u. fleckig. Leichte Flecken versch. Art auch auf anderen Blln.
Seiteneinrichtung: Schriftraum ca. 16,4 x 11,5, zweispaltig, zu 31-42 Z. pro Sp. beschrieben. Z.abstand u. Schriftgröße variiert.
Schrift und Hände: Vereinfachte got. Buchschriften vom Ende des 13. bis Anfang des 14. Jhs., zeitweise zur Kursivität neigend (Kanzleiminuskeln?), von mind. 2 sich abwechselnden Händen. Eine 2. Hand neben dem Hauptschreiber sicher für lxxvra-lxxjxva u. lxxxxvjra-cvvb. Evt. eine 3., vom Hauptschreiber versch. Hand (vgl. die Zierstriche bei Satzanfängen u. die z, v, w) für cvjra-cxviijrb. Auch innerhalb der 1. Hand Schwankungen. Diverse Schreibervermerke sowie Randbemerkungen von 2-3 Händen des 16.-19. Jhs.
Buchschmuck:
  • Rubriziert.
  • Abwechselnd rote u. blaue Kap.initialen (Lombarden) von meist doppelter Z.höhe (die Ober- u. Unterlängen verlängert). Bl. cvj für den Beginn des Lehenrechtes eine 7 Z. hohe, blau-rote Fleuronnée-Initiale mit bis an den unteren Rand hinuntergezogener zweifarbiger Randleiste. Für eine entsprechende Initiale des Landrechtsbeginns Bl. cl [xl ] Raum ausgespart, doch nicht ausgeführt.
Einband: Flexibler Perg.bd. des 16. (evt. 17.) Jhs. 5 einfache, leicht erhabene Bünde, die zu beiden Seiten des Rückens das Perg. durchstoßen. Kapitale zweifarbig umwoben. Rükkentitel (neu): Schwabenspiegel. Im Spiegel des vorderen Deckels Datum, Devise u. Besitzeintrag: M.D.LXŸX [= 1568] / Sola post funera virtús (Anmerkung: Die Devise in vereinfachter Form (Post funera virtus) für Robertson u. Westropp, vgl. J. Dielitz, Die Wahl- und Denksprüche, Feldgeschreie, Losungen, Schlacht- und Volksrufe besonders des Mittelalters und der Neuzeit (...). Frankfurt a. M. 1884, S. 248.) / Johans Ab Haym in / Reichenstain. Die Schnitte blau eingefärbt.
Hauptsprache: Mundart: westalem. mit md. Einschlag (els.?) oder südrhfr. auf alem. Grundlage.
Inhaltsangabe:
  • xlra-cxxviijvb Schwabenspiegel (Land- und Lehenrecht)
    • (xlra-cvvb) Landrecht >Hie bebet sich daz lantreht bůch an.< [H]erre got himelisher vatter, durch dine gůte geschuͤffe du den menschen mit drivaltiger werdekeit …–… [cvva ] Wil man in in des vor werltlicheme gerihte niht gelouben, so suͤlen siu ir eliche reht vor geistlicheme gerihte behaben [cvvb ] un[d] suͤln des brieve un[d] insigele nemen, so behabent siu ir reht vor alleme werltlicheme gerihte mit rehte.
    • (cvjra-cxxviijvb) Lehenrecht >Hie hebet sich daz lehen bůch an.< Swer lehen reht kunnen welle, der volge dis bůches lere …–… Got durch alle sine guͤte, der gep uns die gnade, d[az] wir d[az] reht also minnen in dirre welte un[d] daz unreht krenken in dirre welte, d[az] wir sin do geniezzen, da sich lip un[d] seile scheident. Daz verlihe uns der vatter un[d] der sun un[d] der heilige geist, amen, amen.
    Textgeschichte: Die in der Forschung weitgehend unbekannt gebliebene Hs. gehört zu den ältesten Textzeugen der Überlieferung überhaupt (nur ganz wenige reichen in das 13. Jh. zurück). Bisher 311 erhaltene oder bezeugte Hss. u. 82 Fragmente des Landrechts sowie 268 erhaltene oder bezeugte Hss. u. 39 Fragmente des Lehenrechts bekannt (Übersicht vgl. Oppitz I, S. 34-42 u. 286-293). 4 Kl.: Kurzformen, Langformen, Vulgata, Systematische Formen. Unser Cod. läßt sich eindeutig der III. u. größten Kl. (Normalform) zuordnen (L = Artikel des Landrechts, LL = Artikel des Lehenrechts in der Ausg. v. Lassberg [s. u.]):
    1. Umfang: Normalform. Es fehlen abweichend die Artikel L 118, 153-162 (Bl.-Verlust), 338, LL 121, 132a, 143b/144a, 154 (Teil)-158. Einziger größerer Zusatz L 377 II (Von der e), allerdings vor L 377, also nicht ganz am Schluß des Landrechtsbuchs. Dieser Zusatz ist typisch für die Kl. IIIb (um die Ubersche Hs. Ub, Breslau/Wroclaw, Wojewódzkie Archiwum Państwowe, Rep. 135 E 147), IIIc (mit der Lassberg-Hs. La, Donaueschingen, Fürstl. Fürstenbergische Hofbibliothek, Ms D 10, jetzt Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. Donaueschingen 738; aus IIIb hervorgegangen) u. IIId (um Ms, Hs. aus Münster, UB, Ms. 81; Tochterform von IIIc).
    2. Artikeleinteilung (Landrecht):
    a) Rubriken des Lassbergschen Drucks, die als eigene Artikel erscheinen (vgl. Klebel [s. u.], S. 160f.): Vorwort h, L 5bc, 68b, 70b, 98b (nur Initiale), 103b, 130b (nur Initiale), 130d, 135c (nur Initiale), [Überschrift von 137 fehlt], 137bc, 140b, 143b, 144b, 147b, 151b, [155b u. 156b fehlen wegen Bl.verlusts], 253b (nur Initiale), 363b. Dagegen erscheinen entgegen der Kl.norm L 139b u. 168b nicht als selbständige Artikel.
    b) Zusammengezogene Artikel (vgl. ebd.): L 6/7, 19/20, 42/43, 50/51, 59/60, 61-63, 69/70a, 74/75, 130d/131, 151bc/152, 260-262. Im Gegensatz zur Kl.norm nicht zusammengezogen die Artikel L 214/215, 327 I/328 (327 I fehlt). Statt L 335-341 nur 335/336 zusammengezogen, 338 fehlt, 337-341 ohne Überschriften, nur Initialen.
    c) Für IIIc u. - weniger deutlich - IIIb kennzeichnend ist die Absetzung eines 2. Buchs innerhalb des Landrechts nach L 219, unter dem Titel Lehenrecht. Unsere Hs. ohne Kolophon u. Einschnitt, beginnt kein neues Buch, L 220 hat jedoch als gewöhnliche Kap.überschrift Lehenrecht (statt: Wenne man daz guot verdienen sol, wie z. B. die Zürcher Hs.). Die Kl. IIId zeichnet sich durch eine Kapitelverschiebung nach L 174a aus, welche unser Cod. nicht teilt.
    3. Textvarianten: Unsere Hs. weist die für die III. Kl. typischen Textvarianten auf:
    a) Die 14 Enterbungsgründe L 15 in der Reihenfolge L 15 I-II, Schluß (= Ende XIV), V-VII, IV, VIII-XIV (vgl. Klebel, S. 179-181).
    b) L 3a Von der Sippe in der Vulgata-Version (vgl. Klebel, S. 181-188, besonders 186f.).
    c) L 130a über die Königswahl (Klebel, S. 188-190):
    - Herzog von Bayern (statt von Böhmen) als 7. Kurfürst mit der Mehrzahl der Hss. (kein Gruppenmerkmal),
    - sinnstörende Zusammenfassung nach Kl.norm.
    d) L 131 in der Langform (wie La, Ub, Ms u. a.; vgl. Klebel, S. 190-204).
    e) L 313a gibt den Namen des Frankenkönigs mit Lescandus an, wie die meisten Hss. der Normalform (Klebel, S. 204f.).
    f) LL 60 beginnt mit Eigent ein man, der Version der normalen Hss. (Klebel, S. 205f.).
    g) Schlußartikel LL 159 wie die Hss. der Vulgat-Version, besonders nahe zu La (Klebel, S. 206-210).
    Wenn hier auf eine genaue Zuordnung der Hs. zu einer Unterkl. verzichtet wird, so vor allem wegen der Unklarheit in L 219/220 (vgl. oben unter 2c). Eine eingehendere Untersuchung, vor allem auch ein Vergleich zu den schwer einzuordnenden Hss. der Kl. IIIb ist dazu nötig. Der Cod. Bodmer 150 darf aber mit Sicherheit in den Umkreis der Kl. IIIb und IIIc gestellt werden, zusammen mit Hss. also, die in der Gegend um Augsburg (IIb) sowie dem Breisgau und der Schweiz (IIIc) beheimatet sind.
    Eine krit. Ausg. des Schwabenspiegels hat sich bisher als unmöglich erwiesen. Ausgangspunkt für Hss.-Untersuchungen u. -Klassierungen war bisher die Ausg. von Lassberg: Der Schwabenspiegel oder Schwäbisches Land- und Lehen-Rechtbuch. Nach einer Handschrift vom Jahr 1287. Hg. v. Friedrich Leonhard Anton Freiherr von Lassberg. Tübingen 1840. 3. Ausg. bes. v. Karl August Eckhardt. Aalen 1971.
Entstehung der Handschrift: Herkunft: weitgehend unbekannt. Bei Johannes Ab Haym in Reichenstain könnte es sich um einen der Söhne des Christoph Haimer (gest. 1571) handeln, welcher um 1565 die Herrschaft u. Veste Reichenstein in Österreich ob der Enns erworben u. sich als erster "Haimb zu Reichenstein" nannte. 4 Söhne - darunter Johannes Haim - wurden 1582 in den Freiherrenstand erhoben (Haim, Freiherren von und zu Reichenstein; vgl. Kneschke 4, S. 158-160). Die Familie besaß mit Otto Haym im 13. Jh. einen angesehenen Juristen der babenbergischen Herzöge in Wien.
Erwerb der Handschrift: Martin Bodmer erwarb die Hs. sicher vor 1945, wohl bereits in den 20er oder 30er Jahren.
Bibliographie:
  • Oppitz II, Nr. 348, S. 440.
  • Ausg. der einzelnen Fassungen u. früherer Editionen durch K. A. Eckhardt in: Bibliotheca rerum historicarum.
  • Vgl. Ernst Klebel, Studien zu den Fassungen und Handschriften des Schwabenspiegels. In: MIÖG 44 (1930), S. 129-264.
  • Gustav Homeyer, Die deutschen Rechtsbücher des Mittelalters und ihre Handschriften. Neu bearb. v. Conrad Borchling / Karl August Eckhardt u. Julius von Gierke. 2 Bde. Weimar 1931 u. 1934.
  • Oppitz I-III.
  • Peter Johanek, Artikel "Schwabenspiegel". In 2VL 8, Sp. 896-907.